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Tierverhalten: Neugier/Interesse/Vorfreude

 
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davX
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Anmeldungsdatum: 08.06.2004
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BeitragVerfasst am: 11.03.2007 02:40    Titel: Tierverhalten: Neugier/Interesse/Vorfreude Antworten mit Zitat

Hallo zusammen,

wie einige vielleicht wissen beschäftige ich mich seit einiger Zeit mit einer neuen, interessanten Lektüre: "Ich sehe die Welt wie ein frohes Tier" von Temple Grandin.

Grandin schreibt dort drin unter anderem von 4 Basisemotionen, die Mensch und Tier besitzen, welche im Gehirn als eigenständige Schaltkreise ausgeprägt sind und einzeln aktiviert werden können. Dabei handelt es sich um Wut, Jagdtrieb, Angst und der vierte ist eben
Neugier/Interesse/Vorfreude oder auch Seeking genannt.

Grandin schreibt dazu folgendes:

Zitat:

Alle Säugetiere und Vögel sind neugierig auf ihre Umgebung und zeigen reges Interesse daran. Sie kennen auch so etwas wie Vorfreude. Das kann man immer wieder sehen, wenn Fressen für den Hund vorbereitet wird: Sobald man etwas Trockenfutter in die Schüssel schüttet, beginnt das Tier regelrecht zu grinsen und wedelt wie verrückt mit dem Schwanz. Sich aufs Fressen zu freuen zählt zu den glücklichsten Momenten in einem Hundeleben.

Grandin, Temple. 2006. Ich sehe die Welt wie ein fröhliches Tier. Eine Autistin entdeckt die Sprache der Tiere. Ullstein Verlag, Berlin.
(Hervorhebung von mir)

Diese Basisemotion, welche da ausgelöst wird nennt Grandin Seeking (zu Deutsch "Suchen") und umschreibt sie mit den Worten von Dr. Panksepp als engagierte Neugier, starkes Interesse und grosse Vorfreude. Bei der Stimulierung von dem Gehirnteil, der für diese Basisemotion zuständig ist empfanden die jeweiligen Personen, dass es sich um etwas hochinteressantes, äusserst aufregendes handle. Bei Tieren wurde aufgeregts, unruhiges hin- und herlaufen und starkes Schnüffeln beobachtet.

Diese Basisemotion, so Grandin ist für Tier und Mensch überlebenswichtig:

Zitat:

Diesen mächtigen Erkundungsdrang haben Mensch und Tier gemeinsam, weil er ihnen zu dem verhilft, was sie im Leben brauchen. Diese Emotion sichert unser Überleben. Die Neugier und ein aktives Interesse an unserer Umwelt sind die Voraussetzungen dafür, dass wir Angenehmes wie Nahrung, Schutz und einen Partner suchen und Unangenehmes wie unsere natürlichen Feinde meiden.

Grandin, Temple. 2006. Ich sehe die Welt wie ein fröhliches Tier. Eine Autistin entdeckt die Sprache der Tiere. Ullstein Verlag, Berlin.
(Hervorhebungen von mir)

Dass es sich dabei nicht um etwas Negatives handeln kann, dürfte wohl klar sein. Mit Seeking sind die Tiere ständig konfrontiert und wie wir es aus den Beschreibungen dieses Gefühls entnehmen können sind Interesse und Vorfreude angenehme Gefühle. Grandin weist in dem Zusammenhang auch auf den Botenstoff Dopamin hin, welcher beim Seeking eine grosse Rolle spielt und dann vermehrt ausgeschüttet wird. Der Dopaminspiegel spielt im Zusammenhang mit Drogen eine wichtige Rolle: Drogenkonsum erhöht den Dopamin-Spiegel und erzeugt ein Hochgefühl.

Zitat:

Doch inzwischen gibt es zahlreiche Belege dafür, dass sich Kokain deshalb so toll anfühlt, weil es das SEEKING-System im Gehirn stimuliert [...] Was die sich selbst stimmulierenden Ratten aktivierten waren ihre Neugier/Interesse/Vorfreude-Schaltkreise. Denn genau das vermittelt einem ein gutes Gefühl: neugierig sein, Vorfreude empfinden und ein unglaubliches Interesse an der eigenen Umwelt zeigen.

Grandin, Temple. 2006. Ich sehe die Welt wie ein fröhliches Tier. Eine Autistin entdeckt die Sprache der Tiere. Ullstein Verlag, Berlin.
(Hervorhebung von mir)

Seeking ist also nicht nur sehr wichtig, sondern ist ein Zustand, in dem sich die Tiere gerne befinden. Besonders stark stimmuliert wird dieser Reiz bei der Nahrungssuche und bei der Suche nach Neuem:

Zitat:

Dieser Teil des Gehirns [gemeint ist der für das Seeking zuständige Teil] beginnt zu feuern, wenn das Tier Anzeichen dafür entdeckt, dass sich in seiner unmittelbaren Umgebung Nahrung befindet - stellt das Feuern jedoch ein, wenn die Nahrung tatsächlich entdeckt wird. [...] Allein die Suche beschert dem Tier das absolute Hochgefühl.

[...]

Was ich als Novetly seeking (Suche nach Neuem) bezeichne - also den Wunsch eines Tieres, neue Gegenstände zu berühren [bei Nagetieren wohl auch benagen Wink ] und zu erkunden -, ist sicherlich auch nichts anderes als Neugier. Alle Tiere mögen Neues, genau wie der Mensch. Gibt man einem Tier neues Spielzeug und schenkt ihm dann nach ein paar Wochen wieder etwas Neues, wenn auch nicht ganz so Tolles, wird es immer das Neue bevorzugen.

[...]

Es ist der Reiz des Neuen, der gefällt.

Grandin, Temple. 2006. Ich sehe die Welt wie ein fröhliches Tier. Eine Autistin entdeckt die Sprache der Tiere. Ullstein Verlag, Berlin.
(Hervorhebungen von mir)

Meines Erachtens ist die Basisemotion Seeking eine äusserst bedeutsame Emotion. Die Stimulation dieses Reizes ist daher m.E. ein bedeutender Punkt in der artgerechten Tierhaltung, welcher vermutlich zum Wohlbefinden der Tiere beitragen kann. Mit den wunderbaren Ausführungen aus dem Buch von Grandin, liefert sie uns äusserst wertvolle, detailierte und aufschlussreiche Basis- und Hintergrundinformationen.
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Zuletzt bearbeitet von davX am 14.05.2011 09:29, insgesamt 3-mal bearbeitet
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Murx Pickwick
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Anmeldungsdatum: 23.07.2005
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BeitragVerfasst am: 11.03.2007 16:48    Titel: Re: Basisemotion Neugier/Interesse/Vorfreude Antworten mit Zitat

Ich bezweifel, daß Neugier ein gutes Instrument ist, um Feinde zu vermeiden - dazu ist nämlich die Angst da, die sonst keine Bedeutung hätte.
Es kommt nich von ungefähr, daß die neugierigsten Tiere ausgerechnet die ängstlichsten sind (oder auch umgekehrt) ...

Es ist mit Sicherheit kein besonders erfolgreiches Verhalten einer Maus, wenn sie neugierig aus ihrem Bau kommt, um zu gucken, was draußen so die Katze treibt - sie wird nicht lange überleben. Wenn sie aber ängstlich in ihrem Bau bleibt, ist sie sicher, und hat einzig das Problem, daß sie mit der Zeit verhungern würde, wenn ihre Neugier sie nicht irgendwann raustreiben würde, um zu schauen, ob die Katze endlich weg ist und sie nach Nahrung suchen kann. Zur Futtersuche ist also grob gesagt die Neugier da, zur Feindvermeidung die Angst, zum Vertreiben voon Konkurrenten die Wut ...

Übrigens kommt durch nicht artgemäße Haltung sehr oft das gesamte Gefühlssystem durcheinander, insbesondere bei Tieren, die viel lernen müssen, wie z. B. Papageien und Primaten. Die Folge sind Angststörungen, die derartig stark werden, daß das gesamte Neugiersystem unterdrückt wird. Ein solches Tier sollte man bis zur Beseitigung der Angststörung nicht immer wieder neue Einrichtungsgegenstände oder neue Nahrung oder was auch immer anbieten - durch die Unterdrückung des Neugiersystems kommt es bei diesen Tieren sonst dazu, daß sie die Nahrung vollends verweigern bzw sich nicht mehr aus der Ecke raustrauen - Neues bedeutet hier Feind = Streß.

Eine weitere Grenze gibt es beim Anbieten von Neuem - zwar ist es so, daß wenn man einem Hamster oder anderem Nagetier jeden Tag eine vollständig neue Umgebung anbietet, erstmal das Neugiersystem extrem angesprochen wird, gleichzeitig aber werden bei der immer wieder fehlenden Geruchsmarkierung immer mehr Streß- und Angsthormone ausgeschüttet, die nicht mehr abgebaut werden können. Die Folge ist irgendwann das Einstellen von Fressen, Haarverlust, Hormonstörungen oder andere lebensbedrohliche körperliche Fehlfunktionen.

Es ist also beim Anbieten von Neuem stets darauf zu achten, daß das, was natürlicherweise sich ändert, nur geändert wird. Bei Nagern müssen unbedingt die Geruchsmarkierungen erhalten bleiben! Bei Tieren, die viel lernen müssen, ist die Aufzuchtzeit und Schock zu beachten.

Es gibt jedoch auch Fehlfunktionen des Neugiersystems, die in dem Zusammenhang wichtig ist. Bei übersteigertem Neugiersystem hat man beim Menschen beispielsweise einen krankhaften Drang zum Ehrgeiz, der zumindest im weiblichen Geschlecht in Magersucht umschlagen kann (auch hier spielt die Angst vor Versagen eine nicht unerhebliche Rolle), manische Zustände, wie sie zum Beispiel bei der bipolaren Störung auftreten, ein übersteigertes Selbstwertgefühl, was durch einen übermäßigen Konsum von Kokain induziert wird, Inaktivität bis hin zum Nur noch rumsitzen und Verhungern usw usf ...

Ansonsten kann jedoch das Neugiersystem ausgenutzt werden, nicht nur, um Tiere zahm zu bekommen, sondern eben auch, um dem Tier etwas beizubringen.

Das der Jagdtrieb eine eigene Basisemotion darstellen soll, erscheint mir merkwürdig ... wozu brauchen z. B. Kaninchen einen Jagdtrieb?
Weshalb ist der Jagdtrieb, wenn es eine eigene Basisemotion sein soll, so eng mit dem Spieltrieb assozieert, der wiederum zum Neugiersystem gehört?

Aber vielleicht muß ich hier Grandin selbst lesen ... es ist ja doch ein recht komplexes System.
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Anmeldungsdatum: 08.06.2004
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BeitragVerfasst am: 11.03.2007 17:08    Titel: Re: Basisemotion Neugier/Interesse/Vorfreude Antworten mit Zitat

Hallo,

Zitat:

Ich bezweifel, daß Neugier ein gutes Instrument ist, um Feinde zu vermeiden - dazu ist nämlich die Angst da, die sonst keine Bedeutung hätte.
Es kommt nich von ungefähr, daß die neugierigsten Tiere ausgerechnet die ängstlichsten sind (oder auch umgekehrt) ...

Ja, Neugier und Vorsicht/Angst hängen eng zusammen. Ich denke, dass das hier jetzt nicht so gut zur Geltung kommt, da ich nur Auszüge aus dem Buch zitiert habe. Die Neugier selber ist wichtig zur Erkundung der Umgebung und damit sich die Tiere einen Fluchtweg finden können... das ist wohl mit der Vermeidung von Feinden gemeint. Nicht dass neugierige Tiere durch sorgloses rumwuseln weniger gefährdet wären, als Vorsichtige. Da die Emotionen getrennt behandelt werden spiegelte sich das eben auch im Text wieder.

Was ich noch anmerken wollte wegen Anbieten von Neuem. Die Tiere sollten eine vertraute Umgebung haben, in die sie sich zurückziehen sollen. Sie sollten nicht mir dem Neuen konfrontiert werden, sondern sie sollten es selber erforschen können. Ich hatte das zwar ganz knapp schon oben angesprochen, aber das kam glaubs nicht so ganz aus dem Thema hervor.

Zitat:

Das der Jagdtrieb eine eigene Basisemotion darstellen soll, erscheint mir merkwürdig ... wozu brauchen z. B. Kaninchen einen Jagdtrieb?
Weshalb ist der Jagdtrieb, wenn es eine eigene Basisemotion sein soll, so eng mit dem Spieltrieb assozieert, der wiederum zum Neugiersystem gehört?

Der Jagdtrieb ist selbst bei Nagetieren vorhanden, teils mehr, teils weniger. Ich will diesem Thema bestimmt noch ein eigenes Thema widmen, zumal Grandin auch dazu ein paar interessante Dinge hat. Mein spontaner Gedanke bei Jagdtrieb bei Nagern, es gibt Tiere, die fressen Insekten und die jagen z.B. den Heuschrecken hinterher. Das macht ihnen Spass und das tun sie warscheinlich auch in der Wildnis. Einer meiner Degus hat auch eine Art Jagdreflex, zumindest ist das etwas mein Eindruck. Stöckchen werden hinterhergejagt, wenn ich so eines bewege und ihr vor der Nase rumtanzen lasse. Bekommt sie es in den Mund, wird es gepackt und verschleppt. Ebenso bei Zeitungspapier oder wenn ich ihr den Finger vor die Nase halte, so krallt sie mit den Pfoten danach und scharrt es weg. Beim Finger wird zusätztlich noch versucht da reinzubeissen (zumindest mit einem leichten Probebiss). Die anderen Degus dagegen zeigen nur Desinteresse oder schnuppern vielleicht an dem Finger.

Zitat:

Aber vielleicht muß ich hier Grandin selbst lesen ... es ist ja doch ein recht komplexes System.

Jup, das Buch ist sehr empfehlenswert. Claudia meint zwar, dass die englische Fassung besser sei. Ich kanns nicht beurteilen, da ich bisher nur die deutsche habe und diese schon sehr gut finde. Bei der englischen Fassung hätte ich wohl etwas Mühe mit der Motivation, da ich mich nur an kurze fremdsprachige Texte gewohnt bin.
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Murx Pickwick
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Anmeldungsdatum: 23.07.2005
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BeitragVerfasst am: 11.03.2007 17:18    Titel: Re: Basisemotion Neugier/Interesse/Vorfreude Antworten mit Zitat

Die meisten Nager fressen zumindest einen Teil Insekten, da leuchtet es mir mit dem Jagdtrieb ein - aber Hasenartige? Reine Pflanzenfresser?

Oder was ist mit dem Panda - reiner Bambusfresser ... wozu braucht der Jagdtrieb?
Wie äußert sich das?

Selbst bei meinen Meerschweinchen gibt es zwar durch die Neugier ausgelösten Folgetrieb, aber keinen Jagdtrieb ... es sind halt reine Pflanzenfresser, trotzdem sie mehr oder weniger nah mit Nagern verwand sind, die durchaus einen geringen Teil an Nahrung in Form von Insekten erjagen.

Es paßt nicht ... alle anderen Emotionen, Angst, Neugier und Wut, kommen bei wirklich ALLEN Säugern und Vögeln vor, eigentlich sogar bei jedem Wirbeltier.

Dann - was ist mit dem Sexualtrieb? Es werden ganz eigene Hirnbereiche aktiviert, wenn Tiere sexuell aktiv sind. Ist das wirklich keine Basisemotion?
Wie läßt sich dann erklären, daß es Tierarten gibt, dessen Sexualität je nach Jahreszeit oder Futterangebot ab- und angeschaltet werden kann, z. B. bei Kaninchen?

Aber wie gesagt, ich hab Grandin nicht gelesen, das sind jetzt nur nach dem oben beschriebenen die Fragen, die bei mir sofort aufkommen.
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BeitragVerfasst am: 11.03.2007 20:25    Titel: Re: Basisemotion Neugier/Interesse/Vorfreude Antworten mit Zitat

Nun, ich denke der Jagdtrieb ist ein Überbleibsel der Evolution. Man geht meines wissens heute davon aus, dass es Adaption bei den Tieren nicht gäbe, sondern das jede Art von Adaption zufällig geschehen ist. So gesehen haben sich die Tiere nicht perfekt an ihre Umwelt angepasst, sondern umgekehrt, nur wenn die Anpassungen den Tieren zu genügend grossen Vorteile verhalfen so dürften sich diese gegenüber der primitiven Form durchgesetzt haben. Daher könnte es nicht auch hier möglich sein, dass der Jagdtrieb einfach noch ein Überbleibsel ist?

Zitat:

Dann - was ist mit dem Sexualtrieb? Es werden ganz eigene Hirnbereiche aktiviert, wenn Tiere sexuell aktiv sind. Ist das wirklich keine Basisemotion?
Wie läßt sich dann erklären, daß es Tierarten gibt, dessen Sexualität je nach Jahreszeit oder Futterangebot ab- und angeschaltet werden kann, z. B. bei Kaninchen?

Diese gehört warscheinlich zu den sozialen Basisemotionen. Grandin schreibt dazu folgendes:

Zitat:

Die meisten Tiere haben auch vier soziale Basisemotionen, die allerdings nicht so genau definiert sind:

Sexuelle Anziehung und Lust
Trennungsangst (zwischen Mutter und Kind)
Soziale Bindung
die Freude am Spielen und Herumbalgen

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BeitragVerfasst am: 12.03.2007 10:16    Titel: Re: Basisemotion Neugier/Interesse/Vorfreude Antworten mit Zitat

Hallo
Ich bin so frei uns schildere hier mal meine Erfahrungen mit meinem Pferd (welches ja auch ein Fluchttier ist).
Durch schlechte Behandlung beim früheren Besitzer war es psychisch total in sich gekehrt, und Angst regierte sein gesamtes Verhalten. Wenn es irgend etwas nicht kannte, reagierte es mit blinder Flucht.
Es musste regelrecht lernen, sich einem unbekannten Gegenstand anzunähern und ihn zu untersuchen. Dazu brauchte es zunächst sehr viel Geduld und Konsequenz. Gleichzeitig mit dem sukzessiven Abbau der Angst entstand aber eine fast rührende Neugierde.
Es scheint nun richtig Freude daran zu haben, Neues kennenzulernen. Dabei spielt das Abschnüffeln und das Abtasten mit den Lippen eine grosse Rolle.
Dass die Neugierde eine positive Stimmung auslöst, kann ich also nur bestätigen.
_________________
Liebe Grüsse
Simone

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davX
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BeitragVerfasst am: 18.03.2007 17:47    Titel: Re: Basisemotion Neugier/Interesse/Vorfreude Antworten mit Zitat

Hallo,

Ich habe noch einen kleinen Nachtrag, zumal ich wieder etwas weiter das Buch durchgearbeitet habe (konsequente Notizen zu dem Text machen, den ich schon gelesen habe) und da eben die neugierige Angst aufgetaucht ist.

Nachtrag: Neugierige Angst

Normalerweise erleben Tiere bloss eine Emotion nach der anderen. Wie schon erwähnt, haben sie keine gemischte Gefühle, dass sie z.B. nicht Liebe und Hass zugleich für eine Person z.B. empfinden können. Wenn sie Lieben, dann lieben sie bedingungslos. Allgerdings gibt es hier eine Ausnahme: Neugier und Angst können sehr wohl gleichzeitig auftreten. Grandin erwähnt in diesem Zusammenhang Kühe, welche zwar neugierig sich den Menschen nähern, aber sobald sich diese etwas bewegen, so weichen sie zurück, weil sie Angst haben. Sobald aber wieder alles ruhig ist nähern sie sich wieder. Wenn sie etwa noch anderthalb Meter entfernt sind bleiben sie stehen und recken den Hals um nicht noch näher kommen zu müssen als unbedingt nötig ist. Dann schnüffeln und lecken einem ab. Nach etwa 15-20 Minuten gehen sie wieder, wenn sie die Menschen genügend beschnüffelt und erkundet haben.

Etwas algemeiner ausgedrückt, und das kann man ja auch bei anderen Tieren beobachten, wenn Tiere ein unbekanntes Terrain erkunden, so sind sie sehr vorsichtig, Degus beispielsweise bewegen sich dabei sehr ruckartig, eine Gangart, welche sie als Schutz gegen Feinde sich angeeignet haben, da sie so von Feinden schlechter erkannt werden können, als wenn sie flüssig laufen würden. Wenn sie sich also auf einem solchen Terrain bewegen sind sie äusserst vorsichtig und schreckhaft, das geringste Anzeichen einer Gefahr (kleine Bewegung, Windstoss, Geräusch, etc.) lässt sie aufschrecken und je nach Intensität machen harren sie aus und machen sich fluchtbereit, weichen zurück oder fliehen tatsächlich. Erst wenn es wieder ruhig ist, setzen sie ihre vorsichtige Erkundung fort. Haben sie ihre Umgebung gut erkundet, so ziehen sie nach einer Weile sich wieder zurück. Dieses Verhalten ist gerade bei Wildfängen, die nicht an Menschen gewöhnt sind und nicht zahm sind, sehr ausgeprägt. Unsere Degus, sofern sie gut an Menschen gewöhnt sind, sind hier weitaus weniger Schreckhaft und zeigen weniger Scheu, die instinktiven Verhaltensmuster zeigen sie aber auch: werden sie erschreckt, so schrecken sie auf und suchen schnell Deckung auf, sie zeigen sich aber bei der Erkundung von neuem Terrain meist viel mutiger und weniger vorsichtig als Wildfänge.

-- Nachtrag ENDE --

@Simone
Das sind interessante Anmerkungen. Die Angst selber ist ja auch eine wichtige Basisemotion. In einer ausgewogenen Mischung sind Neugier und Angst zusammen wichtig für das Überleben.
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Anmeldungsdatum: 23.07.2005
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Wohnort: Runkel

BeitragVerfasst am: 18.03.2007 19:04    Titel: Re: Basisemotion Neugier/Interesse/Vorfreude Antworten mit Zitat

Übrigens läßt sich genauso Wut und sexuelle Liebe erklären ... bedingungslose sexuelle Liebe gibt es nämlich nicht, weder bei Menschen, noch bei Tieren (bedingungslose Kind-Mutter-Liebe gibt es dagegen schon, man sieht es sehr gut am Menschen, wie stark die Mutter ihr Kind mißhandeln kann, ohne daß die Liebe, oder besser gesagt das der Mutter folgen wollen, auch nur gestört wird. Je mehr Prügel ein Kind von seiner Mutter bezieht, desto anhänglicher wird es ... und das nicht nur beim Menschen.)

Sehr gut kann man das an Einzelgängern beobachten, weil hier die beiden Emotionen, Konkurrenz aus dem eigenen Bereich raushalten und sexuellen Partner finden und für Kinder sorgen, für jeden sichtbar konkurrieren, bei stark gruppenbetonten Tieren dagegen ist dieses Hin und Her zwischen Aggression und Balz lange nicht so gut zu beobachten, weil stark ritualisiert.

Beispiel Feldhase:
Feldhasen sind normalerweise Einzelgänger, ohne ein bestimmtes Revier zu beanspruchen. Sie meiden einfach Artgenossen und Artgenossen, die dieses nicht akzeptieren, werden angegriffen. Dadurch verteilen sich Feldhasen ideal im Revier, so daß jeder genügend Futter findet.
Zur Paarungszeit haben sie das Problem, daß wenn sie für Nachwuchs sorgen wollen, mind. einen Partner brauchen - also einen Artgenossen an sich ranlassen müssen.
Und nun sieht man die Feldhasen näher zusammenrücken, speziell in den frühen Morgenstunden versammeln sie sich regelrecht. Sie greifen jedoch am Anfang noch jeden an, der ihnen zu Nahe kommt, wenig später nähern sie sich wieder den anderen Feldhasen, drohen, hauen ab, greifen an, kommen näher, drohen, kommen näher, jagen sich, greifen an, entfernen sich, drohen, kommen näher usw usf - und das in wilder Folge.
Nach ein paar Tagen ordnet sich das Ganze ... Weibchen werden besonders stark von den Herren der Schöpfung verfolgt. Die Drohungen werden seltener, werden aber immer noch gegenüber Weibchen und Männchen gezeigt - und zwar gleichmäßig! Aggressive Kampfhandlungen gehen immer mehr in Jagden und Parallelrennen über. Mehrere Männchen folgen einem Weibchen, ohne sich direkt anzugreifen - dafür nähert Mann sich bis auf Fellberührung, springt in die Luft, über den anderen drüber, läuft unter dem anderen durch. Auch die Weibchen beteiligen sich an diesem Spiel, so sieht man Feldhasen in hohen Sprüngen und wilden Jagden in kleinen Gruppen über das Feld laufen, immer wieder unterbrochen von Drohungen.
Nach und nach gewöhnt man sich aneinander, das umeinanderspringen und unter dem anderen durchlaufen wird weniger, es wird mehr gebalzt - und gedroht. Vornehmlich das Gegengeschlecht wird angedroht, gleiches Geschlecht weniger.
Wenn es endlich zur Begattung kommt, sind es stets mehrere Männchen, die in rascher Folge die Weibchen berammeln - und wenig später werden die Männchen von den Weibchen verjagt. Die Häsinnen haben aufgenommen.

Man kann das abgeschwächt sogar noch beim gruppenlebenden Wildkaninchen beobachten. Auch hier jagen die Rammler die Weibchen, die Weibchen drehen sich allerdings blitzschnell um und beißen durchaus schon mal herzhaft zu, wenn der Rammler nicht sofort das Weite sucht und Abstand hält! Ein großer Teil der Verletzungen von Rammlern stammen von den Häsinnen, nicht von anderen Rammlern!
Die Rammler nähern sich deshalb mit Demutsgesten, bis die Häsin wieder weghoppelt - was sofort wieder wilde Jagden einleitet.
Auch hier ist also die sexuelle Liebe sehr aggressionsbetont und das, obwohl Wildkaninchen Gruppenlebewesen sind.

Schaut man sich dann mal bei den Vögeln um, wo es die intensivsten "Liebesgeschichten" gibt, so lassen sich auch hier eindeutig aggressive Verhaltensweisen im Liebesspiel nachweisen, sogar bei Graugänsen, die ein Leben lang monogam leben und oftmals nach Tod ihres Partners keinen weiteren Partner neben sich mehr dulden. Allerdings sind nun die Drohgesten und Beschwichtigungsgesten nur noch angedeutet und sehr stark ritualisiert. Das Liebesspiel kann man sehr schön bei Konrad Lorenz nachlesen.

Daß es beim Menschen die berühmt berüchtigte Haßliebe gibt, ist denke ich unbestritten. Die können viele Menschen im Ansatz selbst an sich beobachten ... samt der gesamten Gefühlswelt, die dahinter steht *g*

Für jede Basisemotion gibt es einen Gegenspieler, wie sich das Tier verhält, liegt nur daran, welche der Emotionen gerade überwiegen.
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BeitragVerfasst am: 21.03.2007 19:20    Titel: Re: Basisemotion Neugier/Interesse/Vorfreude Antworten mit Zitat

Hmm, über sexuelle "Triebe" schreibt Grandin übrigens auch etwas. Ich hab die Passage aber gerade nicht präsent (die sollte ich aber spätestens beim Nachlesen wiederfinden). Dort schrieb sie jedenfalls unter anderem, dass es sich hierbei nicht um eine Basisemotion handle, da sie von verschiedenen Gehirnschaltkreise gesteuert wird, nicht nur von einem, ebenso wie z.B. der Hunger.

Noch ein Nachtrag: Neugier und Angst

Beim Lesen habe ich wieder ein paar interessante Passagen, die sich mit Neugier und Angst beschäftigen... die beiden Gefühle gehören eng zusammen. Grandin schreibt sogar, dass ängstliche Tiere häufig auch am neugierigsten seien.

Zitat:

Die Angst vor dem Unbekannten ist etwas ganz Universelles. Jeder hat eine gewisse Angst vor dem Unbekannten, auch wenn der Mensch das Neue und Abwechslungsreiche innerhalb gewisser Grenzen durchaus zu schätzen weiss. Das selbe gilt für Tiere. Sie haben Angst vor dem Unbekannten, fühlen sich aber auch davon angezogen.

[...]

Sobald wir mit etwas Unerwartetem konfrontiert werden, wird unser Stammhirn aktiviert und schreit, "Was ist denn das? Was ist den das?" und "Ist das gefährlich?".

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(Hervorhebungen von mir)

Gerade den letzten Satz gefällt mir sehr, da sehr lebendig und bildhaft auch mich wirkt. Das Neue hat also nicht nur etwas positives, da Neues stets auch etwas sein kann, dass potentiell gefährlich sein könnte. Daher denke ich, ist es von grosser Bedeutung, wie die Tiere mit Neuem konfrontiert werden. Die Tiere sollten keinen Zwang haben und sollten dennoch eine vertraute Rückzugmöglichkeit haben, in die sie sich zurückziehen können, wenn sie sich dem Neuen entziehen wollen. Das sind letztlich auch Grundsätze wie sie in der Käfigreinigung empfohlen werden, nur einen Teil reinigen und erst später der Rest. So haben sie noch ein Stück intakte und geborgene Umgebung. Auf der anderen Seite können wie ja auch jeweils wieder aufs Neue beobachten, wie neugierig die Tiere bei der Neueinrichtung sind und da die Einstreu testen und das frische Stroh... oder was auch immer. Ich habe bei meinen stets das Gefühl, dass sie sich dann jeweils äusserst glücklich fühlen.
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